Ich habe 24.000 Follower, fühle mich online aber immer noch einsam
Ich kann mich noch sehr gut an eine ganz bestimmte Sommer-Familienfeier erinnern. Während die Erwachsenen im Garten Salsa tanzten und Kinder beim Fangenspielen ums Haus rannten, verkündete ich eine brillante Idee: „Lasst uns einen Zombie-Film drehen!“ Alle anderen Kinder waren sofort begeistert. Mit unserer ziemlich klobigen 90er-Kamera drehten wir also unseren Mini-Film. Ich, damals 12 Jahre alt, wies eins der 5-jährigen Kids dazu an, knurrend und schlurfend einen infizierten Zombie nachzuahmen. Und während die gehirnhungrigen Kleinkinder die größeren, schreienden Kids quer durch die Auffahrt jagten, spielte ich die Regisseurin. Am Ende gewannen die Zombies, die Opfer stellten sich am Boden tot, die Untoten attackierten die Kamera, uuuund… Cut.
Ich weiß noch, dass wir uns das Video damals direkt auf dem kleinen Kamerabildschirm anschauten und laut über die Absurdität unserer Kreation lachten. Das war meine erste Erfahrung als Regisseurin, und ich habe keine Ahnung, wo das Video eigentlich gelandet ist. Manchmal fällt es mir ganz plötzlich vorm Einschlafen ein und hält mich dann stundenlang wach. (Wo ist dieses Video?) Aber vielleicht ist es besser so. Es war ein kreativer Geistesblitz, ein Spaß unter Freund:innen. Es sollte nie jemand außer uns selbst sehen. Aber wow, wie sehr sich mein Leben seitdem verändert hat: Heute kann ich nichts Kreatives mehr machen, ohne dass mich daraufhin irgendwer fragt, wieso ich das nicht auf Social Media gepostet habe – und ich hasse es.
Ich sehne mich nach der Zeit zurück, in der Social Media noch eine völlig neue virtuelle Welt war, in der man Menschen kennenlernen und Content kreieren konnte, ohne unter dem Druck zu stehen, damit möglichst viele Likes, Shares und Follows zu sammeln.
Früher habe ich die sozialen Medien geliebt. Sie waren ein digitaler Raum, in dem ich lernen, Kunst erschaffen, andere bilden und mir eine Community zu geteilten Interessen aufbauen konnte. Ich war eine ziemlich beliebte Content Creator und produzierte, drehte und spielte in Videos mit, die sich kritisch mit den Medien, der Kultur und Gesellschaft auseinandersetzten, alles aus dem Blickwinkel einer feministischen Latina. Heute hasse ich Social Media aber. Ich hasse es, wie der Kapitalismus etwas, das früher so kreativ, unterhaltsam, lehrreich und gemeinsam war, auf endlose Werbeclips, Product Placements und Influencer:innenmarketing reduziert hat. Alles – vom Brunch mit Freund:innen bis zur Hausrenovierung – fühlt sich heute so inszeniert an. Und das ist einfach anstrengend. Ich sehne mich nach der Zeit zurück, in der Social Media noch eine völlig neue virtuelle Welt war, in der man Menschen kennenlernen und Content kreieren konnte, ohne unter dem Druck zu stehen, damit möglichst viele Likes, Shares und Follows zu sammeln. In diese Zeit würde ich so gern zurückkehren, um wieder die Freude verspüren zu können, die mir diese Plattformen mal bereitet haben.
Ich bin mit dem Internet groß geworden und bekam demnach quasi live mit, wie Social Media plötzlich alles für uns wurden. Da waren MSN und ICQ, wo wir Stunden damit verbrachten, uns kreative Anzeigenamen und -status auszudenken. Das bereitete uns dann vor auf Dinge wie SchülerVZ und Myspace, die schließlich Facebook wichen, wo wir unseren Liebsten mitteilen konnten, was uns gerade so durch den Kopf ging – immer und überall. Dann, mit Instagram, Twitter und TikTok, ließen wir unseren unmittelbaren Freundeskreis jedoch zurück und stürzten uns mitten in die Öffentlichkeit.
Genau in diesen Räumen konnte ich mit anderen in Verbindung treten und mich weniger allein fühlen – und vielleicht sogar Kunst erschaffen, dank der sich andere ebenfalls weniger allein vorkamen. In meinem letzten Studienjahr erstellte ich meinen ersten YouTube-Kanal und postete Videos, die die Medien – alles von Werbung über TV-Serien bis hin zu Filmen – aus einem humorvollen, feministischen Blickwinkel kritisierten. Mein erstes Video (mit dem Titel „Girl can’t eat a banana?“) entsprang einer verstörenden, leider aber nicht außergewöhnlichen Begegnung im Bus: Ein Mann hatte mich begeistert angestarrt, während ich eine Banane aß. Obwohl es genau genommen sexuelle Belästigung war, hatte ich doch auch irgendwas daran witzig gefunden, dass ein erwachsener Mann so einen alltäglichen Moment sexualisieren konnte. Wenn ich mir den Stil des Videos heute angucke – halb Vlog, halb Comedy-Sketch –, zieht sich in mir alles zusammen. Gleichzeitig beneide ich aber diese Version meiner selbst. Damals hatte ich meine Wut zu Kunst gemacht. Das war befreiend, und ich hatte Spaß daran.
Wir sind zwar alle in den sozialen Medien unterwegs, doch sind diese Plattformen kaum noch sozial.
Und auch andere hatten ihren Spaß daran. Ich bekam keine Millionen oder auch nur Zehntausende von Views, doch inspirierten mich die Reaktionen von Frauen, die meine Idee lustig fanden und total nachvollziehen konnten, zum Weitermachen. Obwohl ich als YouTuberin nie durch die Decke ging und auch nie Geld damit verdiente, baute ich mir doch eine eigene Community auf. Frauen, die ich noch nie getroffen hatte, bejubelten meine Arbeit oder teilten ihre eigenen Frustrationen rund um das Patriarchat mit mir. Ich postete diese Videos nicht, um berühmt zu werden oder andere zu beeinflussen. Ich wollte nur, dass wir alle – inklusive mir – uns weniger allein fühlten. Und wir waren dadurch weniger allein. Meine besten Freundinnen lernte ich auf diese Art kennen – Freundinnen, die bei meiner Hochzeit dabei waren, die mich während meiner Scheidung unterstützten, und die mich zur Patentante ihrer Kinder machten.
Seitdem ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Ich habe 24.000 Follower auf Instagram und habe mich doch niemals einsamer gefühlt, zumindest online. Und mit diesem Gefühl bin ich nicht allein. Laut einer Studie von 2017 aus dem American Journal of Preventive Medicine gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen höherem Social-Media-Konsum und stärkeren Gefühlen der sozialen Isolation. In anderen Worten: Wir sind zwar alle in den sozialen Medien unterwegs, doch sind diese Plattformen kaum noch sozial. Anstatt uns auf künstlerische Art über gemeinsame Erfahrungen auszutauschen, werden wir dort mit Posts von Influencer:innen bombardiert, die uns ein Produkt oder einen Lifestyle verkaufen wollen, um mehr Follower zu gewinnen oder Geld mit den Views zu verdienen. Social Media fühlen sich laut an, und wie eine Transaktion. Sie inspirieren mich nicht mehr, und ich habe keine Ahnung, wie ich auf diesen Plattformen noch echte, authentische Bindungen knüpfen soll.
Aber genau das ist das Problem mit dem Kapitalismus: Er ist sehr gut darin, echtes Talent, echte Kunst oder Communitys zu identifizieren und in eine Geldmaschine umzuwandeln, die dir sämtliche Energie aussaugt.
Um das mal klarzustellen: Ich mache Influencer:innen keinen Vorwurf dafür, dass sie die sozialen Netzwerke für ihr Business ausnutzen. Das habe ich selbst schon getan. Irgendwie müssen wir schließlich unser Geld verdienen. Anstatt Produkte zu verkaufen, nutzte ich meine Social-Media-Accounts dafür, meine Karriere voranzutreiben. Meine peinlichen, aber leidenschaftlichen YouTube-Videos brachten mir meinen ersten Vollzeitjob als Videoproduzentin für eine damals frisch gegründete Tech-Firma ein. Ich hatte keine offizielle Videoausbildung gemacht und lernte stattdessen im Job, und nach kurzer Zeit wurde ich zur 360-Produzentin: Ich produzierte die Videos, schrieb das Drehbuch, filmte sie, und bearbeitete sie. Heute bin ich Doku-Produzentin und arbeite mit großen Streaming-Plattformen zusammen. Ich verdanke meine gesamte Karriere dem Internet und Social Media. In diesem Sinne verstehe ich Influencer:innen total, die TikTok oder Instagram nutzen, um damit ihre Rechnungen zu bezahlen.
Aber genau das ist das Problem mit dem Kapitalismus: Er ist sehr gut darin, echtes Talent, echte Kunst oder Communitys zu identifizieren und in eine Geldmaschine umzuwandeln, die dir sämtliche Energie aussaugt. Dieser kapitalistische Umbau von Social Media kann uns viel Geld einbringen, raubt uns aber alles andere. Und manchmal passiert das, ohne dass wir es überhaupt mitbekommen. Der Kapitalismus hat einige meiner liebsten Internetmenschen in Markenbotschafter:innen (oder „Brand Ambassadors“) verwandelt. Wenn wir unsere Kreativität mit dem Kapitalismus verknüpfen, zwingen wir uns damit aber leider meist bestimmte Grenzen und Regeln auf. Wenn wir nämlich nicht so „performen“ oder kreieren, wie sich am meisten Geld verdienen ließe, werden wir schnell abgehängt. Wer da mithalten kann, erschafft meist aber eben wegen der Regeln und Grenzen nichts Neues; als Zuschauer:innen konsumieren wir dadurch denselben Content immer und immer wieder. Es ist performativ. Ich liebe eine gute Performance – aber wir performen eben nicht mehr für uns selbst oder füreinander, sondern für den Algorithmus.
Ich liebe eine gute Performance – aber wir performen eben nicht mehr für uns selbst oder füreinander, sondern für den Algorithmus.
Irgendwann hatte ich dafür einfach keine Energie mehr. Ich teilte immer weniger von meinem Leben online. Ich hörte ganz damit auf, Instagram-Storys oder -Lives zu posten. Vielen Leuten fiel das auf, und sie schrieben mir: „Wo bist du hin?“ Was für eine vielsagende Frage. Sie spiegelt die Beziehung unserer Generation zu den sozialen Medien perfekt wider: Wenn ich online nicht existiere, existiere ich dann überhaupt? Und so viel mir die Leute, die mir online folgen, auch bedeuten, musste ich dringend einen Schritt zurück machen, um mich und das, was ich liebe, bewahren zu können. Mein Wunsch danach, Kunst zu erschaffen und Beziehungen zu knüpfen, sollte sich nicht nur auf Social Media beschränken. Er sollte nicht nur – oder zumindest nicht größtenteils – aus Selfies und kurzen Videos bestehen.
Im Laufe des letzten Jahres habe ich mich deswegen bewusst darum bemüht, auf persönlicher Ebene mit Leuten in Kontakt zu kommen und viele meiner kreativen Projekte für mich zu behalten. Ich habe mir ein Haus gekauft. Ich habe gelernt, mit Elektrowerkzeugen umzugehen, und mir selbst einen über zwei Meter langen Esstisch gebaut. Ich habe angefangen, mit Wasserfarben zu malen. Ich habe mehrere selbstgemachte Geschenke für meine Freundin gebastelt. Ich habe eine Halloweenparty veranstaltet. Ich war einmal im Monat mit einer Gruppe aus queeren Frauen wandern. Und all das machte ich, ohne es in Content zu verwandeln. Ich machte es für die Person, für die es gedacht war: mich. Und ich tat es, weil es mich glücklich macht.
Wenn ich online nicht existiere, existiere ich dann überhaupt?
Meine Beziehung zu Social Media ist noch nicht vorbei, und sie wird wohl auch nie richtig enden. Sie hat sich aber verändert. Die sozialen Medien spielen jetzt nur noch eine unterstützende Rolle, nicht die Hauptrolle, in der Freude, die ich aus den Bindungen mit anderen Menschen und aus meiner Kunst gewinne. In ein paar Wochen habe ich Freund:innen bei mir zum Abendessen. Wir setzen uns dann an meinen Esstisch, essen zusammen, spielen was, lachen, und vielleicht weinen wir sogar. Eventuell posten wir dann auch ein Foto von uns auf Instagram, um den Moment festzuhalten. Aber was ich ganz sicher weiß, ist, dass wir an diesem Abend Erinnerungen kreieren, die nur denen gehören werden, die auch wirklich dabei sind.
Like what you see? How about some more R29 goodness, right here?Ich habe 640 € für einen Influencer-Kurs bezahltIch war einsam – also zog ich in eine neue StadtSollten wir (Ex-)Freund:innen blockieren?
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